abgeschlossene Forschungsprojekte

Kartierte Vergangenheit. Kartographische Praxis in der deutschen Prähistorischen Archäologie (1900–1960)

Innerhalb der wissenschaftsgeschichtlichen Erschließung der Prähistorischen Archäologie werden inzwischen nicht nur sehr ergiebig institutionengeschichtliche und biographische Ansätze eingesetzt, sondern auch methodengeschichtliche Fragestellungen verfolgt. Den Arbeiten zur Entwicklung der – scheinbar wesentlichen – Datierungsverfahren, Ausgrabungsmethoden und Ordnungsverfahren stehen bislang nur sehr wenige Untersuchungen zu den Methoden und Strategien der Darstellung und Vermittlung archäologischen Wissens gegenüber. Alle diese scheinbar fachspezifischen Verfahren sind aber stets Ergebnisse von Entwicklungen und Aushandlungsprozessen und weder wertneutral noch naturgegeben. Vor allem werden sie selten exklusiv entwickelt und eingesetzt, sondern sind vielmehr ihrer Entwicklung nach als Sedimentationsprodukte (H. J. Rheinberger) verschiedener Arbeitstraditionen zu bezeichnen, die auf den Konzepten anderer Disziplinen sowie verschiedenen Instrumenten, Sprachen und Praktiken aufbauen und stets mit anderen Disziplinen und Professionen geteilt werden. Dafür werden die Verfahren gegebenenfalls entsprechend der fachspezifischen Quellen oder Fragestellungen modifiziert.

Als eine solche fachspezifische Variante kann die archäologische Kartographie bezeichnet werden, die zu den thematischen Kartographien zu rechnen ist. Während unter dem Einfluss der sog. Critical Cartography Karten inzwischen als Wissensspeicher und -repräsentationen mit einem spezifischen Anteil an der Konstruktion wissenschaftlicher Evidenz auf ihre Gemachtheit und Historizität hin untersucht werden, stehen derartige Betrachtungen innerhalb der Prähistorischen Archäologie erst am Beginn, obwohl Karten aus der alltäglichen archäologischen Forschungspraxis nicht mehr wegzudenken sind und damit so essentiell sind wie Datierungs- oder Ausgrabungsverfahren.

In dem Projekt „Kartierte Vergangenheit“ wurde in den letzten Jahren versucht, die methodischen Sedimentationsprozesse zu rekonstruieren, die zur Herausbildung und Entwicklung der deutschen archäologischen Kartographie führten. Die bisherigen Ergebnisse lassen sich derzeit so zusammenfassen:

Bis zur vorletzten Jahrhundertwende hatten deutschsprachige Vertreter der Prähistorischen Archäologie Karten vor allem intern als wissenschaftliche Werkzeuge zur Inventarisierung und Verwaltung von Fundregionen genutzt, obwohl der starke Raumbezug und dessen Darstellung im innovativen Medium der Karten für den archäologischen Kulturbegriff von Beginn an konstitutiv waren. Eine Konjunktur der Kartenpublikationen ist erst nach dem Ersten Weltkrieg festzustellen. Dabei lag ein Schwerpunkt auf Publikationen mit ethnisch gedeuteten Fundkartierungen in Form von Typenkartierungen zu den archäologischen Epochen zwischen Römischer Kaiserzeit und dem ausgehenden Frühmittelalter. Ursachen dafür waren nicht nur das Forschungsaufkommen selbst und methodische Erwägungen und der Mangel an geeigneten Kartengrundlagen, sondern auch kommunikationstechnisches Kalkül. Bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges waren Karten in der Archäologie eher interne Werkzeuge, die noch nicht als argumentative Illustrationen eingesetzt wurden.

Nach 1918 und der Wahrnehmungsdressur der Öffentlichkeit durch den „Kampf der Karten“ während des Ersten Weltkrieges, aber auch durch gestiegene Datenmengen, die innerhalb eines anwachsenden Netzwerkes von ArchäologInnen ausgetauscht wurden, veränderten sich die Routinen des archäologischen Kartengebrauchs und der Kartenpublizistik. Nun wurde ganz bewusst und vor dem Hintergrund von fachinternen Debatten wahlweise eine archäologische Entität, zum Beispiel die Verbreitung eines archäologischen Typs, kartiert und anschließend vorzugsweise ethnisch interpretiert. Oder aber man kartierte die Interpretation von Fundverteilungen und zeigte Siedlungsgebieten von antiken Ethnien.

Die entsprechenden Debatten zur Kartierbarkeit von Vergangenheit reichen zurück in die 1870er Jahre, als die sog. Kartenkommission der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (DGAEU) sich um Standards in der archäologischen Kartographie bemühte und dadurch zahlreiche regionale Kartierungsversuche auslösten. Einigen wenigen dieser Karten gestand man damals das Potential zu, über die Kartierung von Fundverteilungen Hinweise zur ethnischen Besiedlungsabfolge zu gewinnen. Folgerichtig trieb die zweite Kartenkommission, gleichsam als Großversuch, die Perfektionierung der Typenkartierung bis 1914 energisch voran. Aber die Forderung nach verbindlichen Standards für die archäologische Kartographie blieb ebenso unerfüllt wie die Hoffnung, von einem Grundlagenwerk aus die (ethnische) Vorgeschichte Deutschlands systematisch erschließen zu können.

Es gelang auch letztlich beiden Kartenkommissionen nicht, die archäologische Kartographie überhaupt als Thema zu etablieren und so finden sich in der deutschsprachigen Literatur zur Prähistorischen Archäologie nach 1900 auch nur wenige verstreute Überlegungen zu den Potentialen und Schwierigkeiten der archäologischen Kartographie. Erst mit der Gründung der Zeitschrift „Archaeologica Geographica“, die zwischen 1950 und 1963 als Kommunikationsplattform für Fragen der archäologischen Kartographie von Hamburg aus wirkte, wurde eine neue Diskussionsrunde eröffnet. Bereits damals gab es vielfältige Entwicklungen aufzuarbeiten und in ihren Auswirkungen auf die kartographische Praxis zu hinterfragen: neben dem hohen Forschungsaufkommen einer nahezu vollständig institutionalisierten Archäologie waren dies der generelle Anstieg der kartographischen Publizistik seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, der durch bessere Verfahren der Kartenherstellung und -vervielfältigung ermöglicht wurde, und die Weiterentwicklungen in der Vermessungstechnik im frühen 20. Jahrhundert bis hin zur luftbildgestützten Fotogrammetrie ab den 1930er Jahren. Mit dem Einsatz von Computern zur Datenauswertung und zum Kartendruck sowie der Luft- und Satellitenbildmessung endete schließlich in den 1960er Jahren die erste, vielleicht klassische Phase der archäologischen Kartographie – im Wesentlichen unkommentier

 

Laufzeit
2012 – 2017 

Bearbeiterin
Susanne Grunwald

Publikationen
Susanne Grunwald: „Das ergab aber ein so buntes und wenig eindrucksvolles Bild“. Zu den Anfängen der archäologischen Kartographie in Deutschland um 1900. In: Ethn.-Arch. Zeitschr. 53, 1, 2014 [2012], S. 5–34.

Susanne Grunwald: „Riskante Zwischenschritte“. Archäologische Kartographie in Deutschland zwischen 1870 und 1900. In: Kerstin P. Hofmann, Thomas Meier/Doreen Mölders, Stefan Schreiber (Hrsg.): Massendinghaltung in der Archäologie. Der Material Turn und die Ur- und Frühgeschichte, Leiden 2016, S. 111–142.

Susanne Grunwald: Archäologischer Raum ist politischer Raum. Neue Perspektiven auf die Archäologische Kartographie. Forum Kritische Archäologie 5, 2016, S. 50-75. http://www.kritischearchaeologie.de/repositorium/fka/2016_5_9_Grunwald.pdf

Susanne Grunwald: Metaphern – Punkte – Linien. Zur sprachlichen und kartographischen Semantik vor- und frühgeschichtlicher Wanderungsnarrative bei Gustaf Kossinna. In: Hans-Jürgen Gehrke, Kerstin P. Hofmann, Felix Wiedemann (Hrsg.): Vom Wandern der Völker. Darstellungen und Erzählungen von Migration in den Altertumswissenschaften. TOPOI, 11.-12.10.2012, Berlin 2017, S. 285–232.

Susanne Grunwald: Bedenkliche Karten. Zur Frage der „Westausbreitung der Slawen“ in der deutschsprachigen archäologischen Kartographie zwischen 1850 und 1950. In: Susanne Grunwald, Kerstin P. Hofmann, Daniel Werning, Felix Wiedemann (Hrsg.): Mapping Ancient Identities. Kartographische Identitätskonstruktionen in den Altertumswissenschaften [i. Dr., erscheint 2018]).

Susanne Grunwald: Vom Rätselraten zur rüstigen Kleinarbeit. Zur Debatte um die Interpretationen kartierter Fundverteilungen in der frühen deutschsprachigen Prähistorischen Archäologie [1900–1960]. In: Kerstin P. Hofmann (Hrsg.): Ancient Identities and Modern Identification. Space, Knowledge and Representation. Berlin Studies of the Ancient World. Berlin: Edition Topoi (in Vorbereitung).

Projektförderung und Kooperation(en)
Obwohl eine Projektförderung trotz intensiver Bemühungen nicht zustande kam, konnte die Bearbeiterin interessierte KollegInnen von den Potentialen einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive auf die archäologische Kartographie überzeugen und ihre Ideen und Ergebnisse präsentieren und diskutieren. Neben Prof. Ute Wardenga vom Leipziger Leibnizinstitut für Länderkunde waren dies vor allem Kolleginnen und Kollegen vom Berliner Excellence Cluster Topoi (Cross Sectional Group V; Key Topic Identities). Das Excellence Cluster Topoi förderte die Arbeiten mit der Vergabe eines Interim Grant und der Bewilligung des gemeinsam mit Prof. Eva Cancik-Kirschbaum, Dr. Kerstin P. Hofmann, Dr. Daniel Werning und Dr. Felix Wiedemann organisierten wissenschaftsgeschichtlichen internationalen Workshops „Mapping Ancient Identities. Kartographische Identitätskonstruktionen in den Altertumswissenschaften“ im Rahmen des Excellence Cluster 264 TOPOI (26.–28. Mai 2014).

Weitere Informationen
Dr. des. Susanne Grunwald M.A. │ academia.edu
Email: mrs.susanne.grunwald[at]googlemail.com

 

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