„Körper“, „Materialität“ und „Raum“ sind Schlagworte der kulturhistorischen Forschung, die seit dem spatial turn und dem material turn Impulse zu neuen Denkrichtungen und Fragestellungen geben. Die Sinnes-, Körper- und Emotionsgeschichte hat in den vergangenen Jahren Fragen nach Körperlichkeit und Körperwahrnehmung gestellt, in jüngster Zeit häufig mit einem reformationshistorischen Erkenntnisinteresse. Nicht ausschließlich, aber doch in einem starken Maße rückte der Raum des menschlichen Körpers, sein Erscheinen und seine Praktiken „nach außen“ etwa dann in den Fokus, wenn es um Reinheit geht. Frühe Impulse zum Nachdenken über den Konstruktionscharakter von Körpern, Materialität und Geschlecht gingen von Judith Butler aus, die vielfältig aufgenommen und weitergeführt wurden.
Auch die historische Raumforschung hat sich produktiv zur Untersuchungsobjekten an der Schnittstelle von „Raum“ – „Körper“ – „Materialität“ geäußert und wichtige Impulse und Anknüpfungspunkte geliefert, darunter zu „Zwischenräumen“. Offen sind jedoch nach wie vor Fragen, die sich mit „Materialität im Zwischenraum“, mit „zwischenräumlichen Körpern“ auseinandersetzen und nach deren Praktiken, Akteur/innen, Entwicklungen, Grenzen usw. fragen. Hier möchte der geplante Workshop ansetzen und erste aktuelle Forschungsüberlegungen zum Thema bündeln. Dass dies ein lohnenswertes und nach wie vor wenig erforschtes Feld ist, haben bereits die ersten beiden Workshops zum Thema „Zwischenräume“ gezeigt, die in den Jahren 2016 und 2017 in Erfurt stattfanden (2016: „Räume des Religiösen: Zwischen-raum, third space oder Heterotopie“?; 2017: „Zwischenräume II – Raumvorstellungen und Raumpraktiken im Heterochronotopos“). Völlig unbearbeitet sind ferner Fragen zur Bedeutung von räumlichen Strukturen historischer Gesellschaften in Zusammenhang mit magischen und divinatorischen Praktiken, also etwa danach, welche Bedingungen erfüllt sein mussten, damit beispielsweise ein Liebeszauber oder eine Geisterbeschwörung angewandt werden konnten oder anderweitig in die Zukunft geschaut werden konnte, um nicht nur räumliche, sondern auch zeitliche Strukturen aufzubrechen.
Die materielle Kultur vergangener Gesellschaften manifestierte sich an sehr greifbaren und gut verortbaren Dingen wie beispielsweise Architektur und gestalteter Landschaft, Kleidung, Nahrung und Schmuck, Waffen, Geräten und Maschinen, Büchern und sonstigen Medien. Kann man jedoch innerhalb dieses Spektrums ausschließlich von klar lokalisierbaren Dingen sprechen? Oder anders ausgedrückt: Gibt es in diesem Zusammenhang ausschließlich klar abgrenzbare Räume, die sich durch ihre Verortbarkeit und Sichtbarkeit auszeichnen, oder möglicherweise auch Zwischenräume, die mentaler gelagert sind? Was ist, wenn das, worum es geht, keinen Raum einnimmt, sondern im Zwischenraum verbleibt? Was, wenn es keine Masse hat, wie beispielsweise Wissensräume, die eine materielle Unverortbarkeit darstellen könnten.
Mit anderen Worten: Welche Rolle spielen Körper und Materialität im „Nicht-Raum“, im Zwischenraum? Wie kann so etwas Abstraktes wie ein (heterogener/heterochronotoper) Zwischenraum Materialität bzw. einen Körper besitzen? Diesen Fragen möchte sich der zweitägige Workshop annehmen und sie vor dem Hintergrund aktueller Forschungsprojekte der Teilnehmenden diskutieren.
Anmeldung
muriel.gonzalez@rub.de / monika.frohnapfel-leis@uni-erfurt.de
Programm
Freitag, 09.11.2018
13:30 Uhr
Begrüßung und Einführung:
Muriel González Athenas (Bochum) und Monika Frohnapfel-Leis (Erfurt)
Vorstellung der Erfurter RaumZeit-Forschungsgruppe:
Sebastian Dorsch (Erfurt)
14:00 Uhr
Panel 1: Körper, Materialität und Raum
Moderation: Katharina Waldner (Erfurt)
Sona-Lisa Arasteh-Roodsary (Münster): Der Kulturkörper. Zu den topologischen Implikationen einer kulturkritischen Grundfigur.
Norbert Finzsch (Köln): Räume weiblichen Begehrens: Kliteridektomie und heteronormative Einhegung.
Anschließend Kaffeepause
16:00 Uhr:
Panel 2: Körper in RaumZeitlicher Aneignung
Moderation: Babette Reicherdt (Berlin)
Kristin Platt (Bochum): „Und wenn die Herzen stillstanden, die Zellen sich trennten und auflösten, waren sie neue Seelen […]“. Präsenz und Materialität in Zukunftsvisionen der Zwischenkriegszeit.
Meret Strothmann (Bochum): Der Körper des toten Kaisers – zwischen Mensch und Gott.
Oskar Ters (Wien): Die mumifizierten Körper der Maria Candia-Gruft unter St. Michael – Nichtverwesung als Definierung eines Bestattungsraumes.
Anschließend Kaffeepause
18:30 Uhr: Öffentlicher Abendvortrag
Muriel González Athenas (Bochum): Die südliche Grenze Europas im 18. Jahrhundert. Zwischen Gleichem und Anderem.
Anschließend gemeinsames Abendessen
Samstag, 10.11.2018
09:00 Uhr
Panel 3: Ideale Körper
Moderation: Anna-Katharina Rieger (Graz)
Susann Krause (Bielefeld): Blinde Zugänge zur Vergangenheit!? Wahrnehmung, Skripte und Konzepte zwischenräumlicher Imagination Blinder.
Antonio Lucci (Hannover): Der Asket auf der Säule: die „exzentrische Positionalität“ der Säulenheiligen zwischen Leben und Tod, Himmel und Erde.
Anschließend Kaffeepause
11:00 Uhr:
Panel 4: Körper in Ausnahmesituationen
Moderation: Sabine Schmolinsky (Erfurt)
Franz Kather (Bielefeld): Die liminale Anthropologische Maschine – Zur Intermedialität der Tuberkulose im „Südpalast“.
Sylvia Wehren (Hildesheim): Ungeheuerlich Tierisches entgegen edler Menschlichkeit. Pädagogische Dinge, Praktiken und Umgebungen zu kindlichen Körpern in Zwischenräumlich- und Zwischenzeitlichkeit.
Anschließend Kaffeepause
13:00 Uhr:
Susanne Rau (Erfurt)/Katharina Waldner (Erfurt): Kommentar
Abschlussdiskussion
Moderation: Muriel González Athenas und Monika Frohnapfel-Leis
14:30 Uhr: Ende des Workshops
Wo Senatssaal im 10. Stock auf dem Campus
Kontakt
Muriel González Athenas
Ruhr-Universität Bochum
Universitätsstr. 150 44801 Bochum
0234 – 32 – 23992
muriel.gonzalez@rub.de