Dem Kolloquium „Von der RAG zur ARL: Personelle, institutionelle, konzeptionelle und raumplanerische (Dis-)Kontinuitäten“ geht ein gleichnamiger Forschungsauftrag voraus, der 2016, auf der Basis des Votums einer unabhängigen Fachjury, vom Präsidium der Akademie, an Oliver Werner (IDD – Institut für Didaktik der Demokratie, Leibniz Universität Hannover) vergeben wurde.
Die Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung (RAG) wurde 1935 gegründet. Sie sollte die staatliche Raumordnungspolitik des NS-Staates wissenschaftlich fundieren. Der erste Obmann der RAG war Prof. Dr. Konrad Meyer, der ab 1936 auch die Zeitschrift „Raumforschung und Raumordnung“ herausgab. Meyer, Mitglied der SS und Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik an der Berliner Universität wurde 1939 von Heinrich Himmler zum Leiter der Planungshauptabteilung des Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums ernannt. Unter seiner Ägide wurde der Generalplan Ost entwickelt, der die Ansiedlung von Millionen von Deutschen sowie die Vertreibung und Ermordung der slawischen und jüdischen Bevölkerung in den annektierten Ostgebieten vorsah.
Aus der RAG gingen nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) sowie das Institut für Raumforschung (IfR) in Bad Godesberg – ein Vorläuferinstitut des BBR in Bonn – hervor. In der ARL war Konrad Meyer noch über zweieinhalb Jahrzehnte aktiv. Er steht damit emblematisch für die personellen Kontinuitäten nationalsozialistisch kompromittierter Wissenschaftler in der Raumforschung und Raumplanung der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Auch Heinrich Hunke, von 1949 bis 1954 amtierender Generalsekretär und von 1960 bis 1964 Vizepräsident der ARL, bezeichnete die ARL ohne Einschränkungen oder kritische Reflexion der politischen Rolle der RAG und der nationalsozialistischen Verstrickungen von Akademiemitgliedern, weiter als Rechtsnachfolgerin der RAG.
Dieses kurze Schlaglicht auf die Gründungs- und Frühphase der Akademie zeigt personelle, institutionelle und konzeptionelle Kontinuitäten und macht deutlich, wie schwer sich die ARL und die Disziplin der Raumwissenschaft an sich mit der kritischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte taten.
In der ARL gab es erst ab Mitte der 1990er Jahre Publikationen und Tagungen, die sich kritisch mit der Rolle der RAG und den Aktivitäten späterer Akademiemitglieder in der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzten. Eine umfassende Aufarbeitung und Bewertung der eigenen Geschichte nach Maßstäben der historisch-kritischen Geschichtswissenschaft stand aber weiter aus.
Diese umfassende Aufarbeitung erfolgte durch die Vergabe des Forschungsauftrags. Die zentralen Projektergebnisse werden am 7. November 2019 im Festsaal des Alten Rathaus der Stadt Hannover öffentlich vorgestellt. Im Zentrum des ganztägigen Kolloquiums steht die kritische Reflexion der Geschichte der ARL, aber gleichzeitig wird auch die Historie weiterer raumwissenschaftlicher Institutionen während der NS-Zeit und in der Nachkriegszeit beleuchtet. Wir laden alle Interessierten zur Teilnahme ein!
Ein zweites, vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur finanziertes und von Detlef Schmiechen-Ackermann (ebenfalls IDD) geleitetes Forschungsprojekt zu „Kontinuitäten und Neuorientierungen. Personelle Netzwerke niedersächsischer Raumwissenschaftler nach 1945“ ist damit inhaltlich eng verzahnt. Die Ergebnisse werden in einer eigenen Veranstaltung im Jahr 2020 präsentiert. Datum und Ort werden noch bekannt gegeben.
Programm |
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1. Einführung | |
09:00 Uhr |
Sabine Baumgart (Präsidentin der ARL, Hannover): |
9:15 Uhr | Einführungsgespräch von Rüdiger Hachtmann (vormals Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) und Oliver Werner (Institut für Didaktik der Demokratie, Leibniz-Universität Hannover): RAG und ARL als Wissenschaftsorganisationen und Forschungsobjekte |
2. Raumforschung und Raumordnung im Nationalsozialismus (1935–1945) | |
10:00 Uhr |
Hansjörg Gutberger (Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung Göttingen): |
10:20 Uhr |
Petra Svatek (Institut für Geschichte, Universität Wien): |
10:40 Uhr |
Gunnar Take (Institut für Zeitgeschichte München): |
11:00 Uhr | Diskussion
Moderation: Isabel Heinemann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) |
11:25 Uhr | Kaffeepause |
3. Raumplanung in Deutschland nach 1945 | |
11:50 Uhr | Oliver Werner (Institut für Didaktik der Demokratie, Leibniz-Universität Hannover): Die Etablierung der ARL 1945–1955 |
12:10 Uhr |
Jaromir Balcar (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin) / Thomas Schlemmer (Institut für Zeitgeschichte München): |
12:30 Uhr |
Jörn Düwel (Geschichte und Theorie der Architektur, HafenCity Universität Hamburg): |
12:50 Uhr |
Diskussion Moderation: Hans Heinrich Blotevogel (Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Wien) |
13:10 Uhr | Mittagspause |
4. 1945 als Zäsur? – Inhaltliche Kontinuitäten und Neuorientierungen | |
14:10 Uhr | Karl R. Kegler (Hochschule für Angewandte Wissenschaften München): Eine Reise ins Blaue? – Bundesraumordnung und das Modell der zentralen Orte |
14:30 Uhr | Oliver Werner (Institut für Didaktik der Demokratie, Leibniz Universität Hannover): »Von der RAG zur ARL« – Ergebnisse des Forschungsprojektes |
14:50 Uhr | Kaffeepause |
15:20 Uhr | Podiumsdiskussion
Moderation: Magnus Brechtken (Institut für Zeitgeschichte München) Teilnehmer: Hans Heinrich Blotevogel (Universität Wien), Karl R. Kegler (Hochschule München), Oliver Werner (Leibniz Universität Hannover) und Thorsten Wiechmann (Technische Universität Dortmund) |
16:50 Uhr | Sabine Baumgart (Präsidentin der ARL, Hannover): Verabschiedung |
17:00 Uhr | Ende des Kolloquiums |