Forschungsprojekt

Netzwerke der Geopolitik in der Literatur der Moderne

Die historische Geopolitik wird gemeinhin mit nationalistischen Geschichtsdeutungen in Verbindung gebracht, die in Reaktion auf den Ersten Weltkrieg entstanden sind und später in den ›Blut und Boden‹-Ideologien der Nationalsozialisten weitergewirkt haben. Der enorme Stellenwert der Geopolitik für den Kernbereich der literarischen Moderne ist demgegenüber noch kaum im Ansatz erschlossen. Mein Projekt untersucht die literarischen Raumentwürfe in Texten von heute kanonisierten Autoren (Stefan Zweig, Jakob Wassermann, Elias Canetti), in denen geopolitisches Wissen vielfach angeeignet, forttradiert und weitergedacht wird. Diskurse der Geopolitik waren mit zentralen Themen und Mastertopoi der Moderne(forschung) aufs engste verspannt: mit der Europa-Frage, einer späten Großstadtkritik oder modernen Massenanalysen. Im Ausgang von diesen Themenkreisen und Autoren lässt sich, zum einen, das geopolitische Denken als ein problematischer, aber integraler Bestandteil der literarischen Moderne aufweisen – und nicht allein als ihr reaktionäres Gegenstück, wie es mit Verweis auf seine Rolle in der NS-Literatur bis heute immer wieder geschieht. Aus der Beschäftigung mit den Netzwerken, in denen geopolitisches Wissen zirkuliert, erhellt zum anderen seine Kontinuität bis in die Zeit nach 1945. Die formative Rolle der Geopolitik für imperialistische Raumvorstellungen in der Literatur muss dabei im Zuge eines spatial turn ebenso interessieren wie in aktuelleren Kontexten ihre Bedeutung für frühe Konzepte der Nachhaltigkeit und eines intergenerationellen Umweltdenkens, die sich seit dem frühen 20. Jahrhundert an ihr ausgeprägt haben.

Laufzeit
seit 1.04. 2023

Betreuerin
Prof. Dr. Christine Lubkoll, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Bearbeiter
Korbinian Lindel, M.A.

Publikationen
Stefan Zweig, Karl Haushofer und die deutsche Geopolitik. Eine Spurensuche. In: Wirkendes Wort 72/3, 2022, S. 421-442.

Geopolitik und literarische Moderne. Schlaglichter auf Stefan Zweig, Alfred Döblin und Jakob Wassermann. In: Politische Ideen in der Literatur (1800-2000). Hrsg. von Max Roehl. Freiburg i. Br.: Herder,  2024, S. 129-159.

Geopolitik, Kohle, Nachhaltigkeit. Deutscher ›Lebensraum‹ im kolonialen und ökologischen Diskurs vor und nach 1945. In: Kohle in der Literatur. Hrsg. von Antonia Villinger. Paderborn: Wilhelm Fink [im Erscheinen].

Institution
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Weitere Informationen
korbinian.lindel@fau.de
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Department Germanistik und Komparatistik
Raum B 405
Bismarckstr. 1
91054 Erlangen