Forschungsprojekt

Ein Geograph in Japan. Praktiken der Forschungsreise Johannes Justus Reins

Versteht man mit Clifford Geertz Wissenschaft als das, was ihre Praktiker tun, geraten jene Perspektiven auf die Geschichte der Geographie in den Blick, die nach den epistemischen Tätigkeiten der Forschenden und deren Bedeutung für die Disziplin, Wissenschaftsgemeinschaft und Gesellschaft fragen. Einen bestimmenden Modus der Wissenshervorbringung der Geographie des 19. Jhds. stellt die Forschungsreise dar. In den auf diesen Reisen angewandten Praktiken spiegeln sich Entwicklungslinien des Faches, Verstrickungen von Wissen und Macht sowie die Wirkmächtigkeit diskursiver Raumproduktionen wider.

Der Geograph Johannes Justus Rein (1835-1918) wurde im Auftrag des preußischen Handelsministeriums im Jahr 1873 nach Japan entsandt, um der deutschen Wirtschaft das Wissen um die traditionellen Industrien (Papier-, Porzellan- & Lackherstellung) des über Jahrhunderte hinweg verschlossenen Landes zugänglich zu machen. Während seiner zweijährigen Reisetätigkeit führte er darüber hinaus zahlreiche (im weitesten Sinne) geographische Untersuchungen durch, trat mit der Bevölkerung in Kontakt und beschritt für westliche Wissenschaftler weitgehend unbekanntes Terrain. Kurz vor seiner Abreise schrieb er an den Verleger August Petermann, dass er Japan wie kein Zweiter kenne und daher die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Abhandlung plane. Diese legte er einige Jahre später in Form eines umfassenden länderkundlichen Werks vor, das Rein zu einem Begründer der europäischen Japanforschung machen sollte. Nach seiner Rückkehr wurde er auf den Lehrstuhl für Geographie in Marburg berufen, in den Jahren 1883-1910 forschte und lehrte er in Bonn, trug zur Etablierung des Faches an der Universität bei und pflegte weiterhin seine Beziehungen nach Japan.

Gegenstand der Untersuchung sind jene Forschungspraktiken Reins, die aus seinen Aufzeichnungen ablesbar werden. Fragt man nach den Bedeutungen dieser Praktiken wird deutlich, wie kontextabhängig die Prozesse der Wissensgenese waren, inwiefern also die gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Situation in Japan und dem Deutschen Reich berücksichtigt werden muss, um den Gehalt geographischer Wissensproduktion zu erschließen.

Das Wirken Johannes Justus Reins fällt in eine Zeit, in der die Geographie als institutionalisierte Disziplin erst im Entstehen begriffen war. Der Umgang Reins mit Japaner:innen, seine Verstrickungen in Politik und Wirtschaft, der Austausch mit internationalen wissenschaftlichen Netzwerken oder die Art der Präsentation seiner Forschungsergebnisse geben Aufschluss darüber, was in dieser konstitutiven Phase im geographischen Denkkollektiv denk- und machbar war.

 

Laufzeit
seit 1.10.2020

Betreuer
Prof. Dr. Winfried Schenk, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Bearbeiter
Tobit Nauheim, M. Ed.

Publikationen
Nauheim, T., Kusune, S. & W. Schenk (Hrsg.) (2020): Japan 1873-1875: Die Tagebücher des Bonner Geographieprofessors Johannes Justus Rein. Band 1. (Colloquium Geographicum 37) Bergisch Gladbach.

Nauheim, T., Kusune, S. & W. Schenk (Hrsg.) (2021): Japan 1873-1875: Die Tagebücher des Bonner Geographieprofessors Johannes Justus Rein. Band 2. (Colloquium Geographicum 38) Bergisch Gladbach.

Im Erscheinen: (2023): Consistency or Transformation? Geographical Research Practices on J. J. Rein’s Expedition to Japan. In: Conference volume: Discovering – Surveying – Ordering. Expeditions in the long 19th century, Helmut Schmidt Universität Hamburg, 17. bis 19. November 2021.

Institution
Geographisches Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Weitere Informationen
Tobit Nauheim, M. Ed.
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Geographisches Institut
53115 Bonn