Mit dem Sieg der Alliierten über das „Dritte Reich“ endeten auch Hitlers Pläne zur Errichtung eines eurasischen „Großraumes“ unter nationalsozialistischer Vorherrschaft, den unter anderem Carl Schmitt entworfen und mit Verweis auf die amerikanische Monroe-Doktrin gerechtfertigt hatte. Keineswegs jedoch war die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft frei von Ideen einer symbolischen Geographie und deren mentaler Landkarten. Ganz im Gegenteil schienen der Bundesrepublik durch ihre Teilung die Zuordnungen zu politischen „Großräumen“ unmittelbar eingeschrieben: Aus der Zugehörigkeit zum „Westen“ schöpfte die junge Demokratie einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität, während gerade diese Identität aus Sicht der sozialistischen Führung in der DDR zum zentralen Feindbild avancierte.
Die Ideengeschichte politischer Geographien der Bundesrepublik beschränkt sich jedoch keineswegs auf die binäre Logik des Kalten Krieges. Immer wieder wurden neue, abweichende, konkurrierende oder synergierende mentale Landkarten verhandelt, die die Bundesrepublik in einem größeren räumlichen Kontext verorteten. Revisionistische und konservative Intellektuelle des rechten Spektrums hielten an den Ideen eines deutschen „Großraumes“ fest oder leiteten Vorstellungen für eine vermeintlich „natürliche“ Geopolitik aus der deutschen „Mittellage“ ab. Zugleich ließen sich mit der Einbindung der Bundesrepublik in einen europäischen und transnationalen Kultur- und Wirtschaftsraum auch neue Identitätsentwürfe konstruieren, die nicht in allen Konnotationen identisch mit der Idee des „Westens“ waren.
Nach Ende des Kalten Krieges und zu Beginn des 21. Jahrhunderts gewannen diese Aushandlungsprozesse an Multiperspektivität und Komplexität: Gehörte und gehört das wiedervereinigte Deutschland in Gänze zum „Westen“? Ist es Teil einer „europäischen Wertegemeinschaft“? Oder fühlt es sich gar einem „christlichen Abendland“ verbunden, das seine Identität aus einer Abgrenzung gegenüber dem Islamismus schöpft?
Die Tagung wirft einen ideengeschichtlichen Blick auf unterschiedliche Imaginationen politischer Geographien in der Bundesrepublik und umfasst dabei den Zeitraum von der frühen Bundesrepublik bis in die jüngste zeithistorische Vergangenheit.
Bisherige Forschungsansätze, die in Anknüpfung an die Forderungen des spatial turn vermeintlich feststehende räumliche Zuordnungen problematisierten, stellten zumeist unterschiedliche Aspekte eines Beispiels in das Zentrum der Analyse – so etwa das Konstrukt des „Westens“ oder „Ostens“ hinsichtlich seiner politischen Symbolik, Kontextualisierung und historischen Entwicklung. Die Tagung unternimmt demgegenüber erstmals den Versuch, verschiedene dieser Imaginationen gemeinsam in den Blick zu nehmen, um Anknüpfungspunkte, Konvergenzen und Konfliktlinien auszuloten und der oft erhobenen Forderung nach Komparativität Rechnung zu tragen. Zugleich sollen die Diskussionen und Ergebnisse dazu dienen, die politische Ideengeschichte der Bundesrepublik perspektivisch weiterzuentwickeln.
Vorstellungen von Raum und Räumlichkeit werden hierbei als Repertoire politischer Sinnstiftung verstanden. Dabei kann es sich um Raumkonstruktionen politischer Himmelsrichtungen handeln, jedoch auch Konzepte politisch, religiös oder kulturell konstruierter Hemisphären, wozu das „Abenland“ ebenso wie etwa Samuel Huntingtons „Kulturkreise“ gezählt werden können.
Die Tagung legt ihren Fokus dabei insbesondere auch auf die Instrumentalisierung politischer Verräumlichung zur Konstruktion kollektiver Identitäten, Feindbilder oder vermeintlich „natürlicher“ geopolitischer Zusammenhänge. Vorträge können theoretische oder methodische Zugriffe, Akteure, Netzwerke, Diskurse, die Rolle der Medien und Fallbeispiele im Zeitraum von 1949 bis heute thematisieren.
Programm
Mi, 14. November 2018
12:00-13:00 Anreise, Kaffee
13:00-13:30 Begrüßung
Panel I – Zur Lage des Westens, 13:30-15:00
Jasper Trautsch (Regensburg)
Der Westen – Raumpolitische Debatten und Mental Maps in der frühen Bundesrepublik
Moritz Rudolph (Leipzig)
Platzhalter der Vernunft: Der Westen bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
Kommentar und Moderation: Alexander Gallus (Chemnitz)
15:00-15:30 Kaffeepause
Panel II – Europa, Amerika und der transatlantische Raum,15:30-17:00
Ruth Hatlapa (Mannheim)
„Amerika“ und „Europa“ als ambivalente Identitätsmarker für die Konstruktion nationaler Identität in Deutschland
Darius Harwardt (Duisburg-Essen)
Von der liberalen zur konservativen „Amerikanisierung“ – eine Ideengeschichte
Kommentar und Moderation: Eva Hausteiner (Bonn)
17:00-17:30 Kaffeepause
17:30 Keynote Speech: Axel Schildt (Hamburg)
Ideenlandschaften der Bundesrepublik – zur geistigen Verortung der zweiten deutschen Demokratie
Do, 15. November 2018
Panel III – Praktiken und Institutionen der räumlichen Verortung, 10:00-12:15
Oliver Werner (Hannover)
Raumwissenschaftliche Deutungshoheiten in der frühen Bundesrepublik.
Die Konflikte der »Akademie für Raumforschung und Landesplanung« um die Rechtsnachfolge der »Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung« (1945 bis 1955)
Heiner Stahl (Siegen)
Räume erschließen. Geografische Praktiken des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung bei der Förderung von Vortragsreisen nach Asien und Afrika (1949-1969)
Jörg Probst (Marburg)
Die Lage der Nation. Zeitdiagnostik als geopolitische Kartographie in der Bundesrepublik
Kommentar und Moderation: Tatjana Tönsmeyer (Wuppertal)
12:15-14:00 Mittagspause
Panel IV – Regionen, Räume und Identitäten, 14:00-16:15
Eva Muster (Graz)
Die politisch-kulturelle Geographie des Rheinlandes in musealen Präsentationen nach 1945
Christoph Strupp (Hamburg)
„Tor zur Welt“ und „Mittler zwischen Ost und West“ – die Hamburger Sehnsucht nach einer geopolitischen Sonderstellung im Kalten Krieg
Martina Steber (München / Konstanz)
Der Begriff der „Überschaubarkeit“ im Heimatdiskurs des konservativen Denkens
Kommentar und Moderation: Guido Thiemeyer (Düsseldorf)
16:15-17:00 Kaffeepause
17:00 Gastvortrag: Sebastian Haupt
(Greifswald, Redaktion der Zeitschrift KATAPULT – Magazin für Kartografik u. Sozialwissenschaft)
Karten für das 21. Jahrhundert – über Grenzen hinweg?
Fr, 16. November 2018
Panel V – Deutschlands Ver-Ortung in Europa, 10:00-11:30
Tobias Hirschmüller (Eichstätt-Ingolstadt)
Von „Großdeutschland“ zu „Gesamtdeutschland“? Die Erinnerung an die Revolution von
1848/49 und die politische Geographie der deutschen Demokratie in Europa
Mathias Häußler (Regensburg)
Ideale eines „Vernunfteuropäers“? Helmut Schmidt und die Verortung der Bundesrepublik im Europa des Kalten Krieges
Kommentar und Moderation: Vanessa Conze (Gießen)
11:30-13:00 Mittagspause
Panel VI – Der globale Ort der Bundesrepublik, 13:00-15:15
Stephanie Zloch (Braunschweig)
Die Ver-Ortung der Bundesrepublik als Einwanderungsland. Migration als Herausforderung für Raumvorstellungen und politische Geographien seit 1945
Andreas Plöger (Eichstätt-Ingolstadt)
Dritte-Welt-Macht? China und Multipolarität im bundesrepublikanischen Weltordnungsdiskurs der 1960er und 1970er Jahre
Martin Deuerlein (Tübingen)
Die Bundesrepublik und die Weltgesellschaft ‒ sozialwissenschaftliche Debatten um Deutschlands Ort in einer interdependenten Welt, ca. 1963 ‒ 1986
Kommentar und Moderation: Constantin Goschler (Bochum)
15:15-16:00 Abschlussdiskussion
Anmeldungen zur Teilnahme sind bis zum 15.10.2018 bei Stephanie Hück möglich. Für die Teilnahme an der Tagung wird pro Tag eine Gebühr von 10 € erhoben.
Kontakt: stephanie.hueck@uni-due.de
Kontakt
Darius Harwardt
Historisches Institut / Universität Duisburg-Essen, 45117 Essen
+49 201 183 3582 (D: 0203/379-*, E
+49 201 183 2580
Darius.Harwardt@uni-due.de