Mit der Niederlage Frankreichs 1871 wurde die Grenze, die Frankreich von Deutschland trennte, vom Rhein in die Vogesen verlegt. Fast das gesamte Elsass, ein Teil Lothringens und mehr als 1,5 Millionen Menschen kamen unter die Flagge des Deutschen Reichs. Fast ein halbes Jahrhundert lang veränderte sich das tägliche Leben der Bevölkerung, die zu Grenzgängern geworden war, dadurch.
Benoit Vaillot interessiert sich für die Analyse der konkreten Beziehung der Einwohner zu dieser neuen Linie. Wie überqueren sie die Grenze, wie umgehen sie sie und wie arrangieren sie sich mit ihr? Wie profitieren sie von ihr oder ärgern sich im Gegenteil über sie? Wie denken sie über die Grenze, wie nehmen sie sie wahr und wie integrieren sie sie in ihr Leben?
Die Erfahrung der Grenze wird anhand einer Vielzahl von Objekten untersucht: die Kontrolle von Menschen, Tieren und Waren; Wilderei, Schmuggel und Spionage; die Nationalitätsstrategien der Bewohner; Sport- und Tourismuspraktiken; oder auch die neuen Herausforderungen, die sich durch die ersten weltweiten Pandemien und die Entwicklung des Automobils und der Luftfahrt stellten. Man entdeckt, dass um diese Grenze herum der Begriff des nationalen Luftraums erfunden wurde und dass systematisch und zum ersten Mal Grenzpfähle und Zäune installiert wurden. Aber auch die heutige Verwüstung der Wälder im Elsass und in Lothringen durch den Borkenkäfer, ein Insekt, das besonders gerne Fichten und Kiefern frisst und das deutsche Förster Ende des 19. Jahrhunderts förderten, ist ihr zu verdanken.
Die deutsch-französische Grenze zwischen 1871 und 1914 war ein wahres Laboratorium. In vielerlei Hinsicht trägt sie den Keim für die tiefgreifenden Veränderungen in sich, die die Souveränität und die nationale Identität in Europa im Laufe des 20. Jahrhunderts erfahren werden.