In Zusammenarbeit organisieren der Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, der Lehrstuhl für Geschichte der ELTE SEK Budapest/Szombathely und das Institut für Slawistik der Universität Wien (in Kooperation mit der Burgenländischen Forschungsgesellschaft und dem Sopron Múzeum) eine internationale Konferenz, die sich vom 22.-24. September 2021 mit der post-imperialen Ordnung im ungarisch-österreichischen Grenzraum in den ersten Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs befassen wird. Mit diesem Call for Papers laden wir Kolleginnen und Kollegen herzlich ein, sich hierfür mit einem Forschungsbeitrag zu bewerben. Die wissenschaftliche Konferenz wird in den Räumlichkeiten des Collegium Hungaricums in Wien stattfinden. Zudem wird im Anschluss eine gemeinsame Exkursion organisiert werden, zu der alle TeilnehmerInnen eingeladen werden.
Im Spätherbst 1918 verlor die Österreichisch-Ungarische Monarchie den Ersten Weltkrieg. Damit brach auch die alte Ordnung zusammen. Die allgemeine Unsicherheit sowie die aus dem politischen und sozioökonomischen Umbruch resultierende Offenheit der geopolitischen Situation überschattete die umstrittene Neukartierung der Staatsgrenze zwischen den zwei Hauptverlierern der Habsburgermonarchie, zwischen (Deutsch-)Österreich und Ungarn. In der neuen post-imperialen Ordnung wurden (Deutsch-)Österreich die mehrheitlich von deutschsprachiger Bevölkerung bewohnten Gebiete Westungarns zugesprochen. Der Wechsel des westungarisch-burgenländischen Gebiets resultierte dabei nicht unbedingt aus einem deklarierten Wunsch der dortigen Bevölkerung. Österreich verdankte sein kleinstes Bundesland so keineswegs einem „Selbstbestimmungsrecht der Völker”, vielmehr waren dafür das geopolitische Ungleichgewicht des Donauraums, das erfolgreiche Engagement und die effiziente Lobby-Arbeit der österreichischen Friedensdelegation in Saint Germain-en-Laye ausschlaggebend. Deutschösterreich und Ungarn gelang es, dem regional-partiellen Grenzstreit internationale Beachtung zu verschaffen. Dieser internationalisierte Grenzziehungsprozess zweier Verliererstaaten widerspiegelte plastisch den zufallsartigen Ad-hoc-Charakter sowie die Komplexität der mitteleuropäischen territorialen Neuordnung nach dem Ersten Weltkrieg.
Die Siegerstaaten beabsichtigten eine neue, dauerhafte und gerechte internationale Ordnung zu errichten. Die den Frieden aushandelnden Siegerstaaten entschieden sich während der ungarischen Räterepublik (März-August 1919) dafür, der territorialen Forderung Wiens gegenüber Budapest stattzugeben. Die Entscheidungsträger der Siegerstaaten gestatten Ungarn, der traditionell herrschenden Macht dieses Grenzgebietes, zu diesem Zeitpunkt keine Meinungsäußerung. Diese Grenzverschiebung zu Ungunsten Ungarns fußte auf vielseitigen, auch vor Ort erhobenen statistischen Informationen.
Die in den Friedensverträgen von Saint Germain-en Laye (September 1919) und Trianon (Juni 1920) festgelegte neue Staatsgrenze unterlag jedoch aufgrund der regionalen (para-)militärischen Kräfteverhältnisse einem weiteren Wandel. Ohne die intensive ungarische paramilitärische Tätigkeit wäre es im Dezember 1921 zu keinem Plebiszit in Sopron/Ödenburg und in den umliegenden acht Dörfern gekommen. Außer dieser demokratischen Meinungsäußerung in Form einer Volksbefragung beteiligte sich die hiesige Bevölkerung an der Gestaltung der neuen Staatsgrenze nur begrenzt. Die Grenzbevölkerung war sich jedoch der momentanen Schwäche des Grenzregimes bewusst. Es herrschte reger Schleichhandel und grenzüberschreitende Mobilität über die Grenze hinweg. Bei der endgültigen Festlegung des Grenzlaufes durch eine internationale Kommission wurden bis 1922 kleine Grenzmodifizierungen für einige kleine Ortschaften ausgehandelt. Trotz vielseitiger Bemühungen auf nationaler und internationaler Ebene zur Schaffung einer „eindeutigen (nationalen) Grenze”, blieb das österreichisch-ungarische Grenzgebiet nach wie vor eine sprachlich-konfessionell gemischte Peripherie.
Die historischen Forschungen zu diesem Raum in der hier betrachteten Zeit fokussierten sich bisher vor allem auf die Ereignisse der klassischen Politik- und Diplomatiegeschichte. Diese Tagung beabsichtigt anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Burgenlandes, das im Herbst 1921 in die österreichische Verwaltung eingegliedert wurde, weitere Schwerpunkte durch erweiterte Herangehensweisen und Zugänge zu setzen und auch neue Forschungsfragen aufzugreifen. Thematisch soll es im Rahmen der hier organisierten Konferenz um eine Diskussion der folgenden vier übergeordneten Themenbereiche gehen:
Ständische Strukturierung eines sprachlich/konfessionell vielschichtigen Grenzraums:
In diesem ersten Teil der Tagung soll es um Partizipations- und Emanzipationsmöglichkeiten der Bevölkerung (vor und) nach 1918 gehen. Behandelt werden sollen Aspekte des gesellschaftlichen Wandels wie auch das implizite Weiterleben ständischer Strukturen. Wir interessieren uns hier u.a. für soziale Dynamiken, die in Zusammenhang standen mit dem von den Verwaltungen erzwungenem Sprachwandel im politisch-öffentlichen Leben, für die im Grenzraum typische Mehrsprachigkeit und multikonfessionale Prägung der regionalen Gesellschaft.
Wirtschaftlicher Zusammenbruch und Neuanfänge/Kontinuitäten:
Die Veränderungen im Wirtschaftsleben durch den Krieg, die Kriegswirtschaft, den Schwarzhandel/Schmuggel und die wirtschaftliche Entflechtung der Region sollen einen zweiten Schwerpunkt der Tagung darstellen. Hier interessieren uns insbesondere wirtschaftshistorische Mikrohistorien bzw. Fallbeispiele, die einen Eindruck davon vermitteln können, wie sich die Wirtschaftsstrukturen im „post-imperialen Grenzraum“ neu zu formieren begannen.
Nachkriegsgewalt und politische Mobilisierung
Das Kriegsende und die ersten Jahre danach waren entlang der österreichisch-ungarischen Grenze sehr stark geprägt von einem immer wieder Aufflammen von (auch politischer) Gewalt. Heimkehrende Soldaten, unzufriedene Einwohner ebenso wie bald auch politisch organisierte paramilitärische Verbände griffen immer wieder zum Mittel der Gewalt, um soziale oder politische Zielsetzungen zu erreichen. Eine Radikalisierung der politischen Sprache im Übergang zur Massendemokratie war verbunden mit einem Aufkommen von deklariertem Antisemitismus. Das legitimistische Machtzentrum Ungarns formte sich auch in Westungarn und die Rückkehrversuche des letzten Habsburgerherrschers (1921) prägten den österreichisch-ungarischen Grenzziehungsprozess. Die Mobilisierung und Propaganda für das Plebiszit um Sopron/Ödenburg und die Tätigkeit der Grenzkommission (1922) vor Ort können dabei auch erörtert werden. All diese Themen sind bisher nur in Ansätzen ohne gegenseitige Wechselwirkungen erforscht worden.
Implementierung der neuen Ordnungen und ihre Konsequenzen:
In einem vierten Schwerpunkt wollen wir uns in der Konferenz mit rechtlichen Konsequenzen der Etablierung einer post-imperialen Ordnung im hier untersuchten Grenzraum befassen. Das betraf Heimatrecht wie Staatsbürgerschaft, vollzog sich in Prozessen von Repatriierung, Flucht und (Massen-)Emigration und war auch eng verbunden mit Loyalitätskonflikten. Hier soll/sollte auch der Frage nach der Akzeptanz neuer Identitätskonstrukte und -narrative nachgegangen werden, die das Ende der „alten“ und die Etablierung der „neuen“ politischen und gesellschaftlichen Ordnung begleiteten.
Wir laden hiermit herzlich ein, Vorschläge für geplante Beiträge bis zum 15. November 2020 per E-Mail mit dem Betreff „CfP: Der Weg zu einer post-imperialen Ordnung“ an Frau Nicola Lignitz unter LignitzN@geschichte.hu-berlin.de einzureichen. Mit Rückmeldungen zur Annahme des Beitrags ist mit Ende Januar 2021 zu rechnen. Die Konferenzsprachen werden Deutsch und Englisch sein. Die Abstracts für geplante Beiträge sollten maximal 300 Wörter lang sein und bereits eine Zuordnung zu einem der oben beschriebenen Themenbereiche/Panels aufweisen. Ebenso bitten wir um einen kurzen CV. Wir freuen uns auch über Bewerbungen von NachwuchswissenschaftlerInnen/ DoktorandInnen. Eine Publikation der Konferenzbeiträge ist geplant.
Unterkunft und Versorgung während der Konferenz wird von der Konferenzorganisation getragen. Wir sind bemüht, auch die Reisekosten für alle TeilnehmerInnen zu finanzieren.
Kontakt
Hannes Grandits
Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften, Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte
grandith@hu-berlin.de