Forschungsprojekt

Formen des Ganzen bei Alexander von Humboldt

Ganzheitliches Denken gab es immer – ob nun als Kosmos, Totalität oder Absolutes … Auch heute erlebt die Idee, unsere Welt(en) und das vielfältige Wissen darüber wieder umfassend zusammenzudenken, neue Aufschwünge – ob nun als ganzheitliche Medizin, Globalgeschichte, big data oder Erdsystemwissenschaft … Das ist kein Zufall, geriet die Idee um das Ganze doch im Laufe der Moderne und unter den Eindrücken von Spezialisierung, Disziplinierung, Arbeitsteilung, Chauvinismus und Rassenwahn mehr und mehr unter Verdacht und Verruf.

Vor daher werfe ich vom heutigen Ausgang aus der Moderne einen Blick zurück in die Zeit des Aufbruchs in die Moderne, in die Sattelzeit, in die letzte große Konjunktur um das Denken des Ganzen. Dabei beschäftige ich mich mit Alexander von Humboldt und dessen Ideen zum Ganzen, die unter anderem in seinem Kosmos, in seinem Entwurf eines Weltgemäldes Ausdruck finden.

Der ursprüngliche Ansatz, Humboldt mit Mitteln der Geographie fassen zu wollen, musste schnell an dem dezidiert ganzheitlichen Denker scheitern. Dafür ergab sich für mich das Bild einer Bewusstseinsgeschichte, in der Humboldt seit Mitte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr abgeschrieben, zwischenzeitlich nahezu vergessen und seit Mitte des 20. Jahrhunderts, nunmehr als Geograph, wiederentdeckt wurde. Eingedenk eines kritisch-reflexiven Bewusstseins über die Vereinnahmung Humboldts als Geograph durch seinerzeit führende Fachpolitiker, versuche ich nunmehr aus historisch-philosophischer und transdisziplinärer Perspektive den ganzen Humboldt in den Blick zu nehmen.

Der Erkenntnisweg folgt dabei den inneren Organisationen und Ausdrucksweisen, die das Ganze konzeptionell überhaupt erst generieren. Es werden also Blicke ins Innere des Ganzen geworfen und historische Konjunkturen ihrer genuinen Vielfalt in ihren Wechselwirkungen und in Bezug auf das übergeordnete Ganze analysiert.

Dabei verfolge ich einen weit ausgelegten ideengeschichtlichen Ansatz. Hinsichtlich theoretischer und methodologischer Überlegungen bedient sich meine Arbeit der Philosophie Hans Blumenbergs. Sie beginnt mit einer ontologischen Methodenkritik und weitet sich zu einer phänomenologisch-hermeneutischen Arbeitsweise aus. Danach rekonstruiert die Arbeit auf vielfältige Weise die Ideen von Ganzheitlichkeit unter den Gesichtspunkten Welt(en) und Wissen. Dabei verfolgt sie eine Philosophie der Umwege und arbeitet metaphorologisch, um Ideen, die sich dem Prinzip von Klarheit und Begrifflichkeit entziehen (z.B. Welt, Harmonie, Kultur), lesbar zu machen. Nicht zuletzt werden theoretische Konzeptionen (etwa zum Wirklichkeitsbegriff, Weltmodell und Weltbild uvm.) aufgegriffen, um neuralgische Punkt im LebensWerk Humboldts zu untersuchen.

Laufzeit
seit 1.10. 2019

BetreuerInnen
Prof. Dr. Anton Escher, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Prof. Dr. Veronika Cummings, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Bearbeiter
Christian Schumacher, M.ed.

Publikationen

Für einen ganzheitlichen Bildungsbegriff. Ganzheitlichkeit als Grundlage der Humboldtschen Wissenschaft. In: Dickel, M. & J. Laub (Hrsg.) (vrsl. 2023): Die Pädagogik der Geographiedidaktik. Pädagogische Grundlagen, Bezüge und Perspektiven der geographiedidaktischen Forschung und des Geographieunterrichts [im Erscheinen].

Vereinnahmung Humboldts als Geograph und seiner Wissenschaft als Geographie. Grundzüge einer Bewusstseinsgeschichte. [In: Wissens- und Wissenschaftsgeschichte in imperialen, nationalen und post-nationalen Kontexten. Tagungsband des 3. Workshops für junge Wissenschaftler*innen im September 2021[im Erscheinen].

Die Radziwiłł-Karte Polen-Litauens von 1613. In: Skriptum. Jg. 5. H. 1. 2015. S. 18–52. Internet: http://www.skriptum-geschichte.de/2015/heft-1/die-radziwill-karte-polen-litauens-von-1613.html

Institution
Geographisches Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Weitere Informationen
Christian Schumacher, M.ed.
Johannes Gutenberg-Universität
Geographisches Institut
55099 Mainz