Eine Tagung der RMU-Initiative „Romantische Ökologien“, 07. – 09. Juli 2022, Forschungskolleg Humanwissenschaften Bad Homburg
Wasser/Landschaften. Ökologien des Fluiden um 1800
Organisation und Konzeption
Prof. Dr. Roland Borgards (GU Frankfurt)
Prof. Dr. Frederike Middelhoff (GU Frankfurt)
Prof. Dr. Barbara Thums (JGU Mainz)
Wo in der historischen Romantik literarische, bildnerische, musikalische oder auch gärtnerische Landschaftsbilder entworfen werden, ist oft auch das Element ‚Wasser‘ zu finden: Seien es die schwungvoll gewundenen Bäche oder kunstvoll arrangierten Teiche und Wasserfälle in Landschaftsgärten; spiegelglatte Küsten- und Seenflächen, die das Sonnen- oder Mondlicht in sommerhellen oder unheimlich illuminierten Farben reflektieren; vom Wind gepeitschte Meeresfluten und Ozeane; klingende Bächlein mit launischen Forellen oder Flüsse wie Rhein, Main, Neckar, Themse, Seine oder Nil, die zur Kahn- und Schifffahrt, zum Imaginieren, Ma-len und Dichten einladen: Wasserflächen, elemente und -schauspiele sind für ein romanti-sches Verständnis von ‚Landschaft‘ konstitutiv.
Mit diesen Wasserlandschaften der europäischen Romantik/en – und allgemeiner: der Zeit um 1800 – lässt sich ein (proto-)ökologisches Verständnis von den Wechselwirkungen zwischen anorganischen und organischen Entitäten in lokal definierten Räumen in den Blick nehmen und artikulieren. In der Forschung sind diese Zusammenhänge bislang weitestgehend unberücksichtigt geblieben. Zwar haben die Environmental Humanities die Literatur, Philosophie, Kunst und Wissenschaft um 1800 als zentrale Stichwortgeber eines modernen Umweltbewusstseins und ökologischer Theoreme erkannt. Welche Rolle dem Wasser und damit verbundenen Lebensräumen und Existenzbedingungen zugesprochen werden kann, ist allerdings noch nicht geklärt worden. Das erscheint umso erstaunlicher, als die Diskussion und Imagina-tion zum Stellenwert des Wassers für das Leben und das Lebendige im Allgemeinen, für das Wechsel-, Wachstums- und Transformationsverhältnis von Organismen und Wasser(-Stoff) im Speziellen sowohl in den Naturwissenschaften (der Physik, Geologie und der Naturphilo-sophie) als auch in den Künsten und Wissenschaften um 1800 durchaus angeregt waren. Als entscheidend kann insbesondere die Erkenntnis gelten, dass sich Leben und Lebensformen im Wasser nicht nur verdichten, sondern gleichzeitig mediale Zugriffe notwendig sind, um diese Interdependenzen und Wechselbezüge überhaupt erst sichtbar zu machen – Andersens Märchen vom Wassertropfen (Dän.: Vanddraaben, 1847) unter dem Vergrößerungsglas führt dies besonders eindrücklich vor Augen.
Darüber hinaus verbinden Wasserlandschaften die in den Künsten ständig miteinander verwobenen Ebenen des Semiotischen und des Materiellen, des Klanglichen und des Laut(sprach)lichen, der literalen und metaphorischen Bedeutungen: In Landschaftsgedichten plätschern, sprudeln, quellen, fluten, fließen, rauschen und wallen nicht nur Wasserflächen und -werke, vielmehr laufen hier verschiedene durch das fluide Element getragene Seins- und Bewegungsweisen diverser Akteur:innen ineinander. Tiere, Pflanzen, Luft, Erde(n), Licht bilden ein durch das Wasser zusammengehaltenes und miteinander in Berührung kommendes Ensemble, dessen Aktivität und Vitalität, ebenso wie eine Vorstellung von Landschaft überhaupt, erst durch das Wasser möglich wird. Zugespitzt formuliert: In der Zeit um 1800 wer-den epistemologische und ästhetische Formationen entworfen, die an/erkennen, dass ohne Wasser keine Lebensformen und keine Landschaften denk- und darstellbar sind.
Die Tagung erkundet die ökologischen Dimensionen des Fluiden in der Zeit um 1800 ausgehend vom Begriff der ‚Wasser/Landschaften‘. In den Fokus geraten damit ganz unterschiedliche ‚Wasserstätten‘, die von regentragenden Wolken-Formationen über Wasserpfützen und Moorgebieten bis hin zu Flussläufen und Meeresräumen reichen und damit äußerst heterogene ästhetische Programme (u.a. das Erhabene oder den locus amoenus), Gattungen (Idyllen, Fluss- und Seefahrt-Balladen, Gartengedichte, Landschaftsprosa und Landschaftsmalerei-Diskurse, Naturessays usw.), Orte (national und international, phantastisch und realistisch usw.), Zeiten und Stofftraditionen (griechische und germanische Mythologie, Mittelalter) ins Spiel bringen. Grundthese der Tagungsinitiative ist dabei, dass romantische Literaturen und Bilder das Zusammenspiel von (Lebens-)Elementen und Lebewesen um/im Wasser inszenieren, reflektieren und verhandeln.
Wir interessieren uns für Beiträge, die nach den ästhetischen Verfahren und wissensgeschichtlichen Kontexten von Wasser- und/als Lebensräumen in der Zeit um 1800 fragen und diese mit Theorien, Denkfiguren und Darstellungsformen des Ökologischen in Verbindung bringen. Ansatzpunkte und Impulse für diese Beschäftigung lassen sich neben dem Forschungsfeld des Romantic Ecocriticism auch aus dem ‚Hydro-Criticism‘ und den ‚Blue Humanities‘ erwarten. Die europäische und internationale Romantik ist dabei ein wichtiger, wenngleich nicht der einzige Bezugspunkt. Unser Erkenntnisinteresse gilt der Darstellungs- und Denkvielfalt des Ökologischen um 1800 – alle Beitragsvorschläge, die Text, Bild und Diskussionspunkt gewordene Wasser/Landschaften zwischen 1750 und 1850 fokussieren, sind herzlich willkommen.
Wir bitten um Einsendung von Beitragsvorschlägen (max. 500 Wörter) für 25-minütige Vorträge sowie kurze biobibliographischen Angaben bis zum 30.11.2021. Bitte fassen Sie Ihre Bewerbung in einem Dokument zusammen und senden es an alle drei Organisator:innen (borgards@lingua.uni-frankfurt.de; middelhoff@em.uni-frankfurt.de; thums@uni-mainz.de). Die Publikation ausgewählter Beiträge in einem Tagungsband ist vorgesehen. Die Konferenz ist in Präsenz in der Villa Reimers des Forschungskollegs Humanwissenschaften in Bad Homburg geplant, Reise- und Unterbringungskosten können nach Bedarf übernommen werden.
Kontakt
Frederike Middelhoff (W1-Professur für Neuere Deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Romantikforschung)
Goethe-Universität Frankfurt
Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik
Campus Westend // IG-Farben-Haus // Postfach 17
Norbert-Wollheim-Platz 1
60323 Frankfurt am Main
E-Mail: middelhoff@em.uni-frankfurt.de
Website: https:/
Forschungsbibliografie (in Auswahl)
Alaimo, Stacy: The Anthropocene at Sea: Temporality, Paradox, Compression. In: Jon Chris-tensen, Ursula K. Heise, Michelle Niemann (Hg.): Routledge Companion to the En-vironmental Humanities. New York 2017, S. 153–162.
Böhme, Hartmut (Hg.): Kulturgeschichte des Wassers. Frankfurt am Main 1988.
Böhme, Hartmut: Wolken, Wasser, Stein. Zur Ästhetik der Landschaft, in: semina rerum (1999), S. 1–7.
Briški, Javor und Irna Marija Samide (Hg.): The Meeting of Waters. Fluide Räume in Litera-tur und Kultur. München 2015.
Bunzel, Wolfgang (Hg.): Romantik an Rhein und Main. Eine Topographie. Darmstadt 2014.
Costlow, Jan, Yrjö Haila, Arja Rosenholm (Hg.): Water in Social Imagination: From Techno-logical Optimism to Contemporary Environmentalism. Ann Arbor 2017.
Cohen, Margaret, Killian Quigley (Hg.): The Aesthetics of the Undersea. London, New York 2019.
Davies, Jeremy: Romantic Ecocriticism: History and Prospects. In: Literature Compass (2018), S. 1–15.
Detering, Heinrich: Der Weiher als Ökosystem. In: Ders.: Holzfrevel und Heilsverlust. Die ökologische Dichtung der Annette von Droste-Hülshoff. Göttingen 2021, S. 46-60.
Goodbody, Axel und Berbeli Wanning (Hg.): Wasser – Kultur – Ökologie. Beiträge zum Wandel mit dem Wasser und zu seiner literarischen Imagination. Göttingen 2008.
Garde-Hansen, Joanne: Media and Water. Communication, Culture and Perception. London, New York, Oxford 2021.
Görner, Rüdiger: „Hörst du das Alphorn überm blauen See?“ Aquafine Zeichen in der Lyrik Anette von Droste-Hülshoffs. In: Jahrbuch des Franz-Michael-Felder Archivs 20 (2019), S. 16–29.
Häusler, Wolfgang: Zwischen Naturwissenschaft, Heiliger Schrift und Historie. Beobachtun-gen zur Funktion des Wassers im Wer Adalbert Stifters. In: Jahrbuch des Adalbert-Stifter-Instituts 16 (2009), S. 101–114.
Honold, Alexander: Zwischen Wasser und Poesie. Brentanos Stromkreislauf. In: Ulrike Landfester (Hg.): Gabe, Tausch, Verwandlung. Übertragungsökonomien im Werk Clemens Brentanos. Würzburg 2009, S. 127–141.
Jacobs, Mary: Romantic Things: A Tree, a Rock, a Cloud. Chicago 2012.
Jue, Melody: Wild Blue Media. Thinking through Seawater. Durham 2020.
Kramer, Anke: Hydrographie der Zeit. Erlebte Zeit bei Annette von Droste-Hülshoff, Henri Bergson und Johannes Müller. In: ZwischenZeiten. Zur Poetik der Zeitlichkeit in der Literatur der Annette von Droste-Hülshoff und der ‚Biedermeier‘-Epoche. Hannover 2013, S. 189–209.
Kramer, Anke: Elementargeister und die Grenzen des Menschlichen. Agierende Materie in Fouqués Undine. In: Christa Grewe-Volpp und Evi Zemanek (Hg.): Mensch – Ma-schine – Tier. Entwürfe posthumaner Interaktionen (= Beiheft PhiN 10/2016), S. 104–124. http:/
Kraß, Andreas: Meerjungfrauen. Geschichten einer unmöglichen Liebe. Frankfurt am Main 2010.
McKusick, James C.: Green Writing: Romanticism and Ecology. Basingstoke 2000.
Pape, Walter (Hg.): Romantische Metaphorik des Fließens. Körper, Seele, Poesie. Tübingen 2007.
Ritson, Katie: The View from the Sea: The Power of a Blue Comparative Literature. In: Hu-manities 9/3/68 (2020) https:/
Ritson, Katie: The Shifting Sands of the North Sea Lowlands. Literary and Historical Imagi-naries. London 2018.
Robbins, Nicholas: Ruskin, Whistler, and the Climate of Art in 1884. In: Kelly Freeman Thomas Hughes (Hg.): Ruskin’s Ecologies. Figures of Relation from Modern Painters to the Storm-Cloud. London 2021, S. 203–223.
Water/Landscapes. Ecologies of the Fluid circa 1800
A Conference of the Rhine-Main-Universities-Initiative “Romantic Ecologies”
07 – 09 July 2022, Research Center Bad Homburg
Prof. Dr. Frederike Middelhoff (W1-Professur für Neuere Deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Romantikforschung)
Goethe-Universität Frankfurt
Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik
Campus Westend
IG-Farben-Haus
Postfach 17
Norbert-Wollheim-Platz 1
60323 Frankfurt am Main
Raum: 1.212
E-Mail: middelhoff@em.uni-frankfurt.de
Website: https:/
https://romantikforschung.uni-frankfurt.de/romantische-oekologien/